Erlebnisbericht vom Festival Mawazzine in Rabat

Die Reise begann schon am Vorabend, als Topo mich anrief und meinte, sein Pass sei abgelaufen. Der Flieger ging am nächsten Morgen 7:00 Uhr. Die Botschaft öffnete erst 9:00 Uhr ihre Pforten für den notwendigen Stempel im Paß. Ich flog schon mal vor in der Hoffnung auf eine glückliche Fügung.

Auf dem Pariser Flughafen der erleichternde Anruf auf dem Handy von Topo: Alles klar, Paß wieder gültig, neues Ticket, Ankunft 22:00 Uhr in Casablanca. Und er hat jetzt ein neues Lieblings-Reisebüro, daß das Unmögliche möglich machen kann.
Auf dem Hinflug befand ich mich in Gesellschaft der ebenfalls eingeladenen in Berlin lebenden afrikanischen Gruppe Adikanfo. Auf diesem Wege lebte ich einmal mit durch wie es ist, in Europa als dunkelhäutiger Passagier zu reisen. Bewundernswert, wie die Band dabei ihren Humor und ihre gute Laune behielt.

14:30 Uhr Ankunft in Casablanca. Marokko war schon lange ein Reiseziel von mir. Vor meinem inneren Auge tauchten all Bilder von einem exotischen Land auf... - Berber, Wüste, Medinas, Märkte, Handeln, Islam, Königreich, staubige Straßen, gemütliche Teestuben, Haschisch, verschleierte Frauen, Männer in Kleider,… Empfangen wurde ich von einer elegant in schwarz gekleideten blonden Pariserin. Einige Minuten später saß ich in einer klimatisierten schwarzen Limousine. Der marokkanische Chauffeur hatte kein Kleid an, sondern war in einen schwarzen Anzug gekleidet. Ich kam nur noch von weitem dazu, Adikanfo zuzuwinken, die in einen Bus stiegen und die ich die ganzen drei Tage nicht mehr zu Gesicht bekommen sollte.

Irgendwie erinnerte mich die mit roten Fahnen geschmückte Stadt und die überdimensionalen Poster mit dem Konterfei des 40jährigen Königs an mir wohl bekannte frühere Staaten. Auf meine Bemerkung daraufhin hieß es, vor einer Woche sei der Thronfolger geboren, deshalb der Schmuck.

Während der Fahrt nach Rabat hatte ich Zeit, mir das Festival-Programm durchzulesen: Neben mir unbekannten Namen, solche wie Carlinhos Brown, Ibrahim Ferrer, Tambours du Burundi, Soledad Bravo, Baaba Mal, Boubakar Traorè, Salif Keita, Orchestra Baobab,Orquestra Aragon, Tania Libertad. Auf meine Frage nach einem Plan , einer Karte von den verschiedenen Bühnen, schaute man sich ratlos an. Ja wozu auch, ich hatte ja einen Chauffeur. Auf meine Frage nach der Soundcheckzeit ebenfalls Schulterzucken. Im Hotel hieß es, der Festivaldirektor erwartet mich. Ich wurde in einen kleinen Empfangsraum geleitet, in dem sich ausschließlich Herren in schwarzen Anzügen aufhielten. Ich wurde zum abendlichen Gala-Dinner mit der königlichen Familie eingeladen, was eine außergewöhnliche Ehre bedeutete. Von der Seite kam ein freundlich gemeinter Hinweis auf die Kleiderordnung dieses Abends: langes Kleid. Ich schluckte (ging in Gedanken meinen Koffer durch, dessen Inhalt aus den üblichen lockeren Festivalklamotten, Badelatschen und der nach meiner Meinung passenden Marokko-Garderobe bestand) und meinte, ich werde schon was finden. Ach, das macht doch nichts, bei mir als Ausländerin könnte man das schon mal durchgehen lassen.

Gaelle und Aziz stehen die ganze Zeit zu unserer Verfügung. Was ich sehen möchte, hieß es. Mir gingen sofort die Wüste durch den Kopf und die alten Städte Fes und Marakkesch. Aber vielleicht war das doch zu vermessen und gar nicht so gemeint. Ich blieb also bescheiden. Sie sollen mich einfach durch Rabat fahren und die Bühnen zeigen, auf denen wir spielen sollten. Die erste in einem großen botanischen Garten. Die Band, die hier seit einer Stunde spielen sollte, war weit und breit nicht zu sehen und auch kein Publikum. Es geht hier immer später los, hieß es. Ich versuchte, unsere Soundcheckzeit herauszubekommen. Die Toningenieure seien den ganzen Tag da. Wir können kommen, wann wir wollen. Ich machte trotzdem eine Zeit aus, wohlweislich eine Stunde früher als normalerweise nötig.

Wieder zurück im Hotel, hatte ich noch 10 Minuten, mich frisch zu machen. Man verwies auf den pünktlichen Beginn des Dinners um 20 Uhr. Die Limousinen hielten einzeln vor dem Palazzio, auch meine. Frauen in langen Roben entstiegen. Es fehlte nur der rote Teppich, aber die hingen zuhauf von den mit arabischen Mosaiken verzierten Wänden. Es ging durch mehrere Höfe mit Springbrunnen und marokkanischen Musikern in langen Kleidern, zum eigentlichen Ort des Geschehens. Gaelle platzierte mich und verschwand, sie dürfe hier nicht bleiben, holt mich danach wieder ab. Da saß ich nun und staunte über das Ambiente wie in 1001 Nacht, viel Dekoration, Stoffe, Palmen, gut positioniertes Licht, runde Tische mit jeweils 10 goldenen Stühlchen und 10 goldenen Gläserchen ... Und die wichtigsten 300 Personen von Rabat, Herren in schwarzen Anzügen und Frauen in langen Brokatkleidern, Kimonos aus seiden glänzenden Stoffen. Beifall und Blitzlichtgewitter bei Ankunft der königlichen Geschwister. Ich hoffte, hier die anderen Musiker des Festivals zu treffen. Wie sich aber herausstellte, war die Einladung wirklich exclusiv. An meinem Tisch saßen einzig die Musiker der Salsa-Band von Yuri Buenaventura, die am nächsten Abend zur Familienfeier des frisch geborenen Königssohnes spielen sollte. Wir schlugen vor Hunger schon beim ersten Gang mächtig zu ohne zu ahnen daß es noch weitere geben würde. Bei Nummer 7 hörte ich auf zu zählen. Die Kellner, die die halbleeren Tajine abräumten, verließen den Saal in entgegengesetzter Richtung, als sie ihn betreten hatten. Am Schluß des Abends tat ich es ihnen nach. Ich entdeckte noch einen Hof, in dem sich die Bediensteten (darunter auch Gaelle und Aziz) und die ca. 30 Musiker, die am Eingang spielten, aufhielten. Sie nahmen einen Teil ihrer Gage in Plastiktüten für ihre Familien mit nach Hause: das, was nicht mehr in die Bäuche der High Society paßte.

Niemand ahnte, daß sich an diesem Abend in Casablanca 4 Selbstmordattentäter in die Luft sprengten, eine Viertelstunde bevor Topos Flieger eben dort landete. An den nächsten zwei Tagen bewegten wir uns nicht zu viert, sondern zu fünft durch die Stadt. Wir hatten noch einen Begleiter mehr zur Seite, der aufgrund der Bombenanschläge zu unserer Beruhigung beitragen sollte. Einige Konzerte, die nicht ausreichend abgesichert werden konnten, wurden abgesagt. Gottseidank nicht unsere. Zwei Bands zogen es vor, nicht anzureisen.

Für den nächsten Tag verabredeten wir uns erst zum späten Nachmittag mit unseren Begleitern. Ich hatte keine Lust mit großer Delegation durch die Medina zu laufen und wollte das Handeln selber erproben. Unser erstes Konzert war open air in einem botanischen Garten bei freiem Eintritt. Beifall gab es immer schon nach den Ansagen. Die Tanzlust des größtenteils jungen männlichen Publikums wurde selbst bei dem ihnen offensichtlich unbekannten 3/4Takt, nicht gebremst. Amüsement auf beiden Seiten. Auch wenn der Sound zu wünschen übrig ließ, wie nicht anders zu erwarten war, wenn das Mischpult neben anstatt vor der Bühne steht.

Auf dem Weg zum Catering wollte ich unbedingt noch Carlinhos Brown sehen. Von weitem wunderten wir uns. Beim näher kommen sahen wir es - eine Ersatzband. Er war einer der Musiker, die nicht anreisen wollten. Auf einer anderen Bühne Soledad Bravo, die immer wieder bestätigte, daß das fantastische Panorama hinter der Bühne für die kühlen Temperaturen entschädige.

Wie sich herausstellte, war der Ort für das Catering ein first class Restaurant, ebenfalls im 1001 Nacht Stil. Aziz, unser Fahrer und der Security- Mann warteten wieder vor der Tür. Zwei Kellner führten uns zum Tisch und servierten uns ein aus mehreren Gängen bestehendes Menü. Ich hielt meine Essensmarken, die niemand sehen wollte, in der Hand und dachte an die üblichen Festival-Caterings mit Anstehen am Tresen, Neonlicht und Plastebechern.

Am nächsten Tag kurzes lustiges Sightseeing zu fünft mit einem obligatorischen Minthe-Tee-Trinken. Dann das erste Konzert einer Rai-Band. Wir kämpften uns in einem Park zwischen vielen jungen Männern vor zur Bühne. Ab und zu spürte ich einen beschützenden Arm zwischen mir und dem "normalen" Volk. Anbändeln mit einem netten Marokkaner? Nur in den Armen der Security. Schnell noch zu einer anderen Bühne-eine ukrainische Band. Und dann zu unserem Auftrittsort. Aziz durfte seine Fähigkeiten als Hobby-Ralley-Fahrer unter Beweis stellen. Unser zweites Konzert war für ausgewähltes Publikum nur mit königlicher Einladung in einem kleinen Innenhof eines alten arabischen Hauses in der Medina. Anwesend waren u.a. das deutsche, brasilianische und chilenische Botschafterpaar, mit denen wir vor dem Konzert noch angeregt plauderten. Eine vom Konzert sehr angetane Schauspielerin bat mich um meine Adresse, um mir einige interessante marokkanische Musiken zu schicken. Schade, ich warte heute noch drauf.

Da wir 1-2 Stunden mehr einplanen mussten aufgrund der höheren Sicherheitskontrollen auf Straßen und am Flughafen, mussten wir schon früh 3:45 vom Hotel losfahren. Aziz war nicht mehr so gut gelaunt wie sonst. Der Flughafen war weiträumig abgesperrt, so dass wir die letzten 100 Meter laufen mussten mit Instrumenten und Souveniren. Ein Zollbeamter nahm beim "Durchleuchten" Topos Percussiontasche zum Anlaß, ihm in einem Kämmerlein noch ein kleines Trinkgeld abzuverlangen, sonst kein Passieren.